Kunsthaus Dresden

BLICKE IN DIE AUSSTELLUNG II

Trotz der aktuellen Situation und der vorübergehenden Schließung des Kunsthauses wollen wir unsere aktuelle Ausstellung REQUIEM - zeitgenössische künstlerische Perspektiven zu Trauer und Gedenken für den Austausch und Begegnungen öffnen. Möglicherweise ist es gerade jetzt wohltuend und hilfreich, kulturelle Perspektiven über den ungewohnten Alltag hinaus im Blick zu behalten. Deshalb werden wir an dieser Stelle nach und nach einzelne Werke vorstellen und per Abbildung - und wenn möglich Video-Link - zugänglich machen.

REQUIEM_Susan Donath
Susan Donath, Im Gedenken an Mehmet Turgut (Entwurf), Fahne an der Außenfassade des Kunsthauses,
Foto: David Brandt
Die Künstler*innen Susan Donath und Ulf Aminde zeigen in der Ausstellung REQUIEM Entwürfe zu ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit öffentlichem Gedenken. In beiden Arbeiten geht es um Formen der Erinnerung an die Opfer der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).
Die Beiträge gehen auf Ausschreibungen zurück, die Künstler*innen dazu aufforderten, sich mit der Umsetzung von Mahnmalen und Orten der Erinnerung auseinanderzusetzten. Jedoch lässt sich auch hier ablesen, welche Unsicherheiten und Unwägbarkeiten in den Fragen von öffentlichem und kollektivem Gedenken und Trauern bestehen.

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Mehmet Turgut wurde am 25. Februar 2004 von Mitgliedern des NSU in Rostock erschossen. Der 25jährige war das fünfte Opfer einer Mordserie an neun Personen mit migrantischem Hintergrund und einer Polizistin im Zeitfenster von 2000 bis 2007. Die Künstlerin Susan Donath reichte den in der Ausstellung gezeigten Entwurf 2013 anlässlich eines von der Stadt Rostock ausgeschriebenen Wettbewerbes ein.

Bis heute bleibt ein angemessener Umgang mit dem öffentlichen Gedenken an die Opfer der Terrorgruppe NSU aus. Wie viele Angehörige berichtet Mehmet Turguts Bruder von den fatalen Folgen, die die über Jahre ins Leere laufenden Ermittlungen und die damit einhergehenden Verdächtigungen für die Familie hatten. Nachdem Angehörige jahrelang von der Justiz diskriminiert und kriminalisiert wurden, ist auch nach der Aufklärung der Morde keine Form der öffentlichen Trauer, in Abstimmung mit den Familien, gefunden worden.

Susan Donaths Entwurf sah die Aufrichtung einer grünen Fahne in Kombination mit einer Texttafel vor. Die Wahl der Farbe Grün stand vermittelnd zwischen den verschiedenen Religionen: Grün als die Farbe des Paradieses im muslimischen Glauben wie auch der Hoffnung und des Friedens hier ebenso wie im Christentum.
An der Außenfassade des Kunsthauses ist während der Dauer der Ausstellung eine grüne Fahne zu sehen sein. Sie steht auch für die Frage, welche Tragweite dieses gewaltsam beendete Leben für ganz Deutschland hat und verweist auf ein möglicherweise notwendiges, dezentrales Gedenken.
REQUIEM_Ulf Aminde
Ulf Aminde, Herkesin Meydanı — Platz für Alle (Modell), Ausstellungsansicht, Foto: David Brandt
Am 9. Juni 2004 detonierte in der Köln-Mülheimer Keupstraße eine ferngezündete Nagelbombe.
22 Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. Der Friseursalon, vor dem die Bombe explodierte, wurde durch die Wucht der Detonation und ein anschließendes Feuer verwüstet. Mehrere weitere Ladenlokale und zahlreiche parkende Autos wurden durch die Explosion und herumfliegende Nägel erheblich beschädigt. Seit der Selbstenttarnung im November 2011, wird der Anschlag der rechtsextremen Terrorgruppe NSU zugeordnet. Im späteren NSU-Prozess wurde die ausländerfeindliche Motivation festgestellt, während in den Ermittlungen bis 2011, vor allem Anwohner*innen und Opfer verdächtigt wurden.

2016 veranstaltete die Stadt Köln einen künstlerischen Wettbewerb für ein Mahnmal. Ausgewählte wurde der Entwurf des Berliner Künstlers Ulf Aminde. Dieser basiert auf Gesprächen mit Anwohner*innen und Initiativen in Köln verbindet die Idee eines Mahnmals mit einem Ort der Begegnung: Herkesin Meydanı — Platz für Alle.

Geplant ist eine Bodenplatte aus Beton, deren Größe dem Fundament des von der Nagelbombe getroffenen Hauses entspricht. Diese Bodenplatte soll am Eingang der Keupstraße gebaut werden. Ein weiteres Element des Mahnmals ist eine App, die per WLAN auf das Mobiltelefon geladen werden kann. Mit der App und einer Augmented Reality Technologie entstehen entlang dieser Bodenplatte virtuelle Wände, die ein Haus beschreiben. Dort können Filme aktiviert und auf dem Handy abgespielt werden. Die Beiträge zeigen unterschiedliche Perspektiven auf Migration Rassismus-Erfahrung. So erläutern zahlreiche Beteiligte gemeinsam mit dem Künstler den historischen Kontext, in dem der NSU seine Anschläge und seine Morde verüben konnte. Auch beleuchten sie das politische Klima und die Geschichte der rassistischen Gewalt, in die der Bombenanschlag fällt. Betroffene Anwohner*innen sind ebenso dazu eingeladen sich an dem Projekt zu beteiligen, wie Schüler*innen oder Studierende.

Das ist eine zentrale Idee dieses Mahnmals, denn aus den Filmbeiträgen entsteht ein kritisches Archiv des migrantischen Widerstands. Demnach beschäftigt sich das Mahnmal mit dem Bombenanschlag in der Keupstraße, ist aber zugleich eine Erinnerung an die NSU-Morde und deren Aufklärung. Und es ist der Erinnerung an rassistische Strukturen in unserer Gesellschaft gewidmet.

Die Realisierung des Mahnmals am geplanten Standort kommt jedoch nicht voran. Denn auch die vorliegenden stadtpolitischen Beschlüsse können nichts mehr daran ändern, dass das Areal mittlerweile in den Händen von Investor*innen liegt, die andere Pläne haben: Sie wollen ein lukratives Gewerbequartier errichten und das Kunstprojekt an einen weit entfernten Standort verdrängen. Die Initiativen und Gruppen ‚IG Keupstraße‘, ‚Keupstraße ist überall‘ und das Tribunal ‚NSU-Komplex auflösen‘ treten, genau wie der Künstler selbst, für die Errichtung am geplantenStandort ein und erheben ihre Stimmen gegen eine erneute Verdrängung der Opfer-Perspektive.
Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.
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