Zum Erhalt der Robotron-Kantine
Im Juli 2019 hat der Dresdner Stadtrat mit großer Mehrheit für den Erhalt der ehemaligen Robotronkantine im Herzen der Stadt unweit des Deutschen Hygiene-Museums entschieden. Als Zeugnis der ostdeutschen Architekturmoderne sollte die Kantine in städtisches Eigentum überführt werden. Der Erhalt und die öffentliche kulturelle Nutzung der Kantine für die Stadtgesellschaft wurde zum Leitprojekt in der Bewerbung Dresdens als Kulturhauptstadt 2025.
Um sich für eine Öffnung und Nutzung dieses Baus in exponierter Lage für die Stadtgesellschaft von morgen stark zu machen, hatten sich bereits zu Beginn des Jahres 2019 das städtische Kunsthaus Dresden als Teil der Museen der Stadt Dresden und ein Zusammenschluss aus Wissenschaft und Kreativwirtschaft, das Open Future Lab, zusammengetan und ihre Konzeptionen zusammengebracht. Ziel war es, in einem definierten Projektentwicklungsprozess ein gemeinsam tragfähiges und interdisziplinäres Konzept für eine Institution von nachhaltigem, europäischem Maßstab zu erarbeiten. Für die Kulturhauptstadtbewerbung wurde das im Zwei-Jahresrhythmus stattfindende Kunstprojekt Ostrale in die Konstellation der zu prüfenden möglichen Nutzer*innen aufgenommen.
In der Begründung der Experten-Jury zur Wahl der Europäischen Kulturhauptstadt fanden diese Bestrebungen eine lobende Erwähnung: als zukunftsweisendes Projekt, dessen Weiterführung empfohlen wird. Auch aufgrund dieser Empfehlung wurde eine Fortführung der Planung verbunden mit einer intensiven Arbeit an einem detaillierten Nutzungskonzept verfolgt.
Aufgrund der noch nicht abschätzbaren Folgen der Corona-Pandemie für den kommunalen Haushalt wurde das Vorhaben ebenso wie einige weitere Investitionsvorhaben der Landeshauptstadt Dresden im Frühjahr 2020 ausgesetzt.
Hintergründe und Initiativen
Angeschoben durch die Bürgerinitiativen ostmodern.org und Industrie.Kultur.Ost ist spätestens seit 2017 der Erhalt dieses Zeugnisses der ostdeutschen Architekturmoderne und Industriekultur Gegenstand eines lebhaften öffentlichen Interesses. Bereits 2017 lagen Vorschläge und für eine nachhaltige Instandsetzung und Erschliessung des Gebäude für eine neue Nutzung vor.
Ein 2017 zur Diskussion stehender Abriss des Gebäudes konnte durch das Engagement zahlreicher Menschen aus der Stadtgesellschaft und der Kultur, an dem unter anderem das Netzwerk ostmodern initiativ maßgeblich mitwirkte, abgewendet werden. An der Entwicklung einer zukünftigen Nutzung beteiligte sich unter anderem das Kunsthaus Dresden als Städtische Galerie für Gegenwartskunst und Einrichtung der Museen der Stadt Dresden, das 2018 erstmals ein Nutzungskonzept für eine breite kulturelle öffentliche Nutzung vorlegte. 2019 beschloss der Stadtrat mit großer Mehrheit, das Gebäude zu erwerben. Das Vorhaben wurde während der Corona-Pandemie vorübergehend ausgesetzt.
Nach verschiedenen Eigentümerwechseln befindet sich das gesamte Areal wie auch die robotron-Kantine seit 2021 im Eigentum der Immobilienaktiengesellschaft Gateway Real Estate AG. Zielsetzung der Eigner ist es, ein lebendiges, freundliches und nachhaltiges Quartier des Wohnens und Arbeitens zu bauen und zu vermieten. Die Bauarbeiten auf dem Gelände haben bereits begonnen. Neubauten in Holzhybridbauweise aber auch Umbauten bestehender Bausubstanz mit Wohnungen und Büros, sowie Cafés und Geschäfte sollen ein innerstädtisches zukunftsgerechtes Wohnen ebenso ermöglichen wie die gezielte Einbeziehung von Ladesäulen für E-Autos und Carsharing.
Seit dem Frühjahr 2021 haben das Kunsthaus Dresden – Städtische Galerie für Gegenwartskunst als Einrichtung der Museen der Stadt Dresden und die OSTRALE – Zentrum für zeitgenössische Kunst erfolgreich Ausstellungen und Kulturveranstaltungen in der robotron- Kantine durchgeführt. Dank der freundlichen Genehmigung der aktuellen Eigentümerin Gateway AG wurde in dem leerstehenden Gebäude – unter den aktuellen Bedingungen ohne Wasseranschlüsse oder Heizung – ein erster Zugang und eine nachhaltige Nutzung für die Stadtgesellschaft und ihre Besucher:innen möglich.
Die robotron-Kantine – so das gemeinsame Anliegen – soll in der historischen Bausubstanz für eine kulturelle Nutzung durch die Stadtgesellschaft erhalten bleiben. In welcher Form dies möglich sein kann, wird derzeit innerhalb der Stadtverwaltung der Landeshauptstadt Dresden geprüft.
Zur Geschichte des Gebäudes und den Ausgangspunkten weiterer Planungen
Die robotron-Kantine ist einer der wenigen noch verbliebenen Solitärbauten der ostdeutschen Nachkriegsmoderne in Dresden, dessen Schicksal noch offen ist. Einst schlug hier in dieser Betriebsgaststätte unweit des Rathauses und des Deutschen Hygiene-Museums das soziale, aber auch kulturelle Herz des Hauptsitzes der Informationstechnologie der DDR mit 5.000 Be- schäftigten hier im Mittelpunkt der Stadt. Heute ist das Gebäude ein architektonischer Zeitzeuge und mit der umlaufenden Terrasse ein Beispiel für eine großzügige Art des Bauens wie sie heute kaum noch möglich ist. Kunst und Architektur kamen hier in diesem Gebäude wie auch auf dem damaligen robtron-Campus programmatisch zusammen, um Gesellschaft nicht nur funktional zu begleiten, sondern zu gestalten.
Der von den Architekten Herbert Zimmer, Peter Schramm und Siegfried Thiel entworfene elegante Pavillonbau wurde als Betriebsgaststätte des VEB-robotron gebaut und zwischen 1969 und 1972 fertig gestellt. Das Anfang der 1990er Jahre aufgelöste Kombinat VEB-robotron war der größte Computerhersteller und mit 67000 Beschäftigte in 21 Betrieben in der gesamten DDR noch im Jahr 1989 das größte Industriekombinat der sozialistischen Republik. Ca 5.000 Menschen wurden in diesem Gebäude, der Kantine des Hauptsitzes in Dresden, täglich bewirtet.
Außerdem fand ein vielfältiges Programm von Kulturveranstaltungen in dem Gebäude statt, bei denen unter anderem Mitglieder des betriebseigenen robotron-Ensembles auftraten, aberauch ein Konzert der 1983 ausgebürgerten Liedermacherin Bettina Wegner.
Mehrere Dresdner Künstler:innen waren an der architektonischen Gestaltung des Gebäudes beteiligt. Erhalten ist die Gestaltung der umlaufenden Terrassenbrüstung des bekannten Dresdner Künstlers Friedrich Kracht aus Formsteinbeton wie auch die In- nengestaltung eines weiteren Dresdner Künstlers von Eberhard Wolf, die Innenausstattung des Saal A sowie
die geometrischen Formsteinwände in beiden Speisesälen. Verschollen ist unter anderem ein aufwändiges florales Keramikwandbild der Künstler Ludwig Zepner, Heinz Werrner und Peter Strang.
Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde das Kombinat durch die Treuhandanstalt allmählich liquidiert. Ein
Teil des Unternehmens existiert heute noch als Robotron Datenbanken-Systeme GmbH. Das Bürogebäude Atrium 1 und das Rechenzentrum wurden in den vergangenen Jahren abgerissen. Ab 1990 wurden in der ehemaligen Betriebsgaststätte vielfältige neue Nutzungen angesiedelt. Bis 2002 wurde noch Essen serviert, danach zogen im westlichen Speisesaal (Saal B) die Dis- kothek und Tanzbar Melly’s und im östlichen Saal (Saal A) die Probebühne der Semperoper ein. Die Räume im rückseitigen Anbau wurden als Yogastudio und als Lagerflächen genutzt.
Auf dem Gelände des ehemaligen VEB Kombinat Robotron befindet sich trotz vielfältiger Verluste durch die Abrisse der vergangenen Jahre auch heute noch Kunst am Bau, beispielsweise in Form eines Glas-Brun- nens der Bildhauerin Leoni Wirth, Formsteinfassaden von Karl-Heinz Adler und Friedrich Kracht, aber auch die Fassadengestaltung aus Meißner Keramik von Roswitha Oehme-Heintze am Gebäude gegenüber.
Ab Frühjahr 2021 – Rückblicke und Ausblicke
Seit dem Frühjahr 2021 haben das Kunsthaus Dresden – Städtische Galerie für Gegenwartskunst als Einrichtung der Museen der Stadt Dresden und die OSTRALE – Zentrum für zeitgenössische Kunst erfolgreich Aus- stellungen und Kulturveranstaltungen in der robotron- Kantine durchgeführt.
Im Frühjahr 2021 fand mit „Prelude Nordost Südwest“ erstmals eine Bespielung der Außenfassade mit zeitgenössischer Kunst im großen Format durch das Kunsthaus Dresden statt. André Tempel, Ina Weise, Henning Haupt und Stephanie Lüning waren die Dresdner Künstler:innen, deren große architekturbezogene Installationen und Performances inmitten der Pandemie Zeichen für ein Zukunftsdenken setzten. Im Sommer 2021 konnte erstmals erfolgreich das alle zwei Jahre stattfindende internationale Kunstfestival OSTRALE Biennale O21 unter dem Titel „Atemwende“ in der robotron-Kantine sowie an drei weiteren Orten im Dresdner Stadtraum stattfinden. Dies wurde ermöglicht durch eine auf die nachhaltige Nutzung des Gebäudes zielende außerplanmäßige Förderung durch den Geschäftsbereich Kultur und Tourismus der Stadt Dresden und die dadurch möglichen Instandsetzungen der robotron-Kantine.
Im Jahr 2022 war das Kunsthaus Dresden mit insgesamt fünf Ausstellungen und einer Vielzahl an Konzerten, Vorträgen und weiteren Veranstaltungen in Kooperation mit lokalen und überregionalen Partnern in der robotron-Kantine Gastgeberin für ein breites Spektrum an zeitgenössischer Kunst, Architektur und Musik sowie für interdisziplinäre Projekte zwischen Lehre und Forschung mit der Hochschule für Bildende Künste Dresden und der Technischen Universität Dresden: Das Programm eröffnete im März mit dem Projekt „CAMPUS-Kantine“, bei dem Künstler:innen unterschiedlicher Generationen wie auch ausgewählte Projekte aus dem Umfeld der Hochschule für Bildende Künste auf das Gebäude reagierten. Im April schloss sich die große Ausstellung der renommierten bosnischen Künstlerin Šejla Kamerić an. Ende Juni folgte mit „Fragments from Now for an Unfinished Future“ in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung ein breites Spektrum junger künstlerischer Positionen aus ganz Deutschland. Mit der „Sorge um den Bestand. 10 Thesen zur Architektur“ konnte im August gemeinsam mit dem Bund Deutscher Architektinnen und Architekten BDA Sachsen und dem Zentrum für Baukultur Dresden eine wichtige Architekturausstellung nach Dresden gebracht werden, in der programmatisch ein neues nach- haltiges architektonisches Denken und Arbeiten für die Zukunft gefordert wurde. Im Sommer eröffneten neben ortsbezogenen Projekten der HfBK-Klassen Carsten Nicolai, Stefanie Wenner und Knut Klaßen eine Soundinstallation der Dresdner Künstlerin Antje Meichsner zu Skaterkultur und Umgang mit städtischen Freiräumen sowie die auch weiterhin vor Ort sichtbare „Mini-Kantine“ des Leipziger Künstlers Christian Göthner – eine Hommage an die historische Gestaltung der Terrasse der Kantine durch Friedrich Kracht (*1925 – † 2007).
Im September gelang es durch das vom Kunsthaus Dresden gemeinsam mit dem Europäischen Zentrum der Künste HELLERAU initiierte Kunstfestival „Nordost Südwest“ drei herausragende und innovative Organisationen zeitgenössischer Kunst für eine stadtübergreifende Zusammenarbeit zu gewinnen: das Beirut Art Center im Libanon, das KRAK Center for Contemporary Culture im bosnischen Bihać und das Performing Arts Institute
Warsaw. An dieser Zusammenarbeit wirkten zahlreiche weitere Gastgeber:innen mit, unter anderem die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek SLUB, das soeben eröffnete Damaskuszimmer im Museum für Völkerkunde Dresden im Japanischen Palais, die Schenkung Sammlung Hoffmann der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sowie zahlreiche Partner:innen der Freien Szene in Dresden. Das Kunstfestival „Nordost Südwest“ erstreckte sich neben der robotron-Kantine über weitere 18 Stationen im gesamten Stadtraum.
Ausblick 2023
Vom 15. bis zum 18. Februar 2023 findet mit der Ausstellung „Hybrid Spaces and Augmented Realities“ ein seit
2022 fortlaufendes Forschungsprojekt des Immersive Experience Lab, Fakultät Informatik, der Fakultät Architektur und der Philosophischen Fakultät der TU Dresden im Rahmen des TU im Dialog Projekts „Wissen Schafft Raum“ eine öffentlich erprobbare Form. Forschende aus der Informatik, der Architektur und der Kunsttheorie haben modernste Multi-User-Augmented-Reality-Technologien auf einen Saal der robotron-Kantine angewendet, um neue Möglichkeiten von Raumerfahrung zu untersuchen.
Am 18. März lädt das Kunsthaus Dresden zu dem eintägigen BenefizFestival CANTINE VIVANTE mit Konzerten, Performances und Videoscreenings und dem Urban-Art-Projekt EYESWIDEFORLOVE (am Bau-
zaun Lingnerallee), bei dem Spenden für die Opfer der Erdbeben in der Türkei und Syrien gesammelt werden.
Ab dem 1. April 2023 beginnt der Ausstellungsaufbau für die nunmehr zweite OSTRALE-Biennale Ausstellung in der robotron-Kantine, die unter dem Titel „Zerreißprobe“ (Arbeitstitel) am 10. Juni 2023 eröffnet (Laufzeit 10. Juni bis 1. Oktober 2023).
Weitere Veranstaltungen und Ausstellungen sind ab 2024 in Planung. Für Fragen zu Veranstaltungen von 2021 bis 2024 wenden Sie sich bitte an: presse@kunsthausdresden.de
Für Fragen zum Kunstfestival OSTRALE Biennale O21 / O23 wenden Sie sich bitte gern an: post@ostrale.de
Unser gemeinsamer Dank für die freundliche Zusammenarbeit in der temporären Nutzung geht an die Gateway Real Estate AG.
Die robotron-Kantine – so das gemeinsame Anliegen aller Beteiligten – soll in der historischen Bausubstanz für eine kulturelle Nutzung durch die Stadtgesellschaft erhalten bleiben. In welcher Form dies möglich sein kann, wird derzeit
innerhalb der Stadtverwaltung der Landeshauptstadt Dresden geprüft.
In unmittelbarer Nachbarschaft des Deutschen Hygiene-Museums und an einem familienfreundlichen wie auch in Bezug auf eine Freizeitorientierung verbesserten Standort mit seiner Lage zwischen Altstadt und Großem Garten könnte so in Synergie mit den benachbarten Kultureinrichtungen ein neuer, auf die aktive Beteiligung von Bürgerschaft und Nachbarschaft verschiedener Generationen ausgerichteter Ort der Kunst entstehen, der auch in der Zusammenarbeit mit regionalen, überregionalen und internationalen Partnern Dresden als Kulturstadt in ihrer Vielfalt sichtbar und für unterschiedliche Zielgruppen zugänglich macht.