Eine Aktivierung im Rahmen des Projektes Künstliche Tatsachen/Artificial Facts
Burning Museum, Bettina Uppenkamp, Artefakte//aktivierung (Brigitta Kuster, Regina Sarreiter, Dierk Schmidt), Susanne Leeb, Didier Houénoudé, DRESDENpostkolonial, Lisl Ponger, Anke Scharrahs, Elsa de Seynes, Tobias Mörike, DJ Enoka Ayemba
Angenommen es macht keinen Sinn mehr, die Frage der Kunst aus der Perspektive der Kultur zu untersuchen oder aus der Perspektive ihrer adjektivischen Ausdifferenzierungen (wie etwa „afrikanische Kunst“ oder „zeitgenössische Kunst“), sondern bloß aus der Perspektive eines alten, schrägen und verstörenden Begleiters, der bekannt dafür war, dass er Händler betrog, indem er leere Verpackungen gegen andere voller Geld austauschte: Jack-in-the-box, auf deutsch auch Kasten- oder Springteufel. Er dürfte bis auf die Zeit der Antike zurückzuführen sein, aber niemand weiß dies genau. Als gesichert kann hingegen gelten, dass die Überraschung, die das ganze Ding bereit hält, der Jack im Kasten ist, ein Trickster, ein Spielzeug, ein Symbol, ein Handelsgut, ein Wunderding, eine Ware – eine kleine Figur, die immer inwendig gehalten wird, ein Jack, der zum Stereotyp wurde. Er geriet zu einem verzerrten Durchschnitts-Persönlichkeitstypus, der das Spiel von Licht und Schatten, von Innen- und Außenwelten freilegte, mitten unter seinen Kumpanen Sambo, Nat, Jezebel und Mammy, deren Charaktere auf einem System basierten, welches menschlichem Besitz den Personenstatus absprach, und in einem Gebiet, in dem ein Verbot des Schauens herrschte. Er war nicht mit dem Namen Henry geboren worden, sondern man nannte ihn so, denn er kam im 19. Jh. als Sklave auf die Welt. Und er erlangte Berühmtheit unter dem Namen Henry Box Brown in Anspielung auf den Bretterverschlag aus Holz, in dem er sich selbst in die Freiheit beförderte. Boxing for dissidence. Dissidenz-Verhau. Später, als der Spiegel der Repräsentation zertrümmert worden war, ging Jack-in-the-box mit dem unheimlichen und furchteinflössenden Geräusch seiner eigenen Leere einher – so wie das verrückt machende Echo der Marabar-Höhlen: Ouboom ist der Sound des kolonialen Unsinns, das Tohuwabohu, welches Adele vernommen haben mag. Aber nie war dabei jemals eine Jackie involviert. Was sie anbelangt, so überdauerte die Unterdrückung des Rechts auf das Sehen, des Rechts auf das Reale, andere Erfindungen des anderen, so dass sie fortwährend und beharrlich aufgefordert wurde, damit fortzufahren, betrachtet zu werden, das Rätsel und das Geheimnis zu repräsentieren, das Neue und das Altvordere – als gäbe es in ihren Augen nichts zu sehen – weder das Schöne noch das Grauen. Sie ist der lebende Beweis dafür: Es gibt sicherlich keine dekoloniale Genealogie der Visualität, sondern nur Schauen, Schauen, Sehen…
Alles in allem, mit Verweis auf den mit der J-Form einhergehenden Konsumismus und im Bezug auf die Idee von Umgebungen sowie Innen- im Gegensatz zu Außenwelten oder zum Verständnis von Reproduktion und Erhaltung bleibt nach wie vor unklar, ob Jack und die Box überhaupt je voneinander getrennt werden können. Jack-in-the-box ist ein in sich Unterschiedenes, das sich nicht voneinander separieren lässt. Offensichtlich leitet sich das Verhältnis zwischen Handeln und Behandelt-Werden bei diesem seltsamen Gebilde von geheimnisvollen Künsten ab. Verfügt Jack über ein Gehäuse, das etwas in seinem Inneren enthält, wie eine Schnecke? Jack-in-the box ist eine geblendete Figur, die zu entkommen versucht, von der Feder jedoch festgehalten wird. Es handelt sich um eine Beweglichkeit, die immer schon gefangen ist. Um diese Spannung und Freisetzung herzustellen, braucht es eine Kraft, die runterdrückt. – Aber gereicht diese schon zur Transzendenz, zu einem außerhalb gelegenen Bezugs- und Messpunkt, dem Jack-in-the-box dienstbar würde? Als ein Fort-Da-Spiel, als eine unermüdliche Wiederholung der Lust an Kontrolle und Beherrschung? O-o-o-o…
Es wurde auch über Vorkommnisse berichtet, im Verlaufe derer die Box verwaiste und zu einem Überrest wurde, zu einer Art Zeuge dafür, in Berührung gewesen zu sein. Und in der Folge wurde die Box als Zeichen des Verlusts von Jack erachtet und betrachtet. Ein Leopard – war er entlaufen oder war er geraubt? – nahm die Box als Unterschlupf. Die Angst wuchs in der Welt und die Leute zweifelten darüber, ob es sich bei dem Leoparden um eine königliche Insignie handelte, um eine Trophäe oder um ein Kunststück, eine Illusion oder eine bloße Tarnung – etwas, das nur vorgibt, in sich selbst zu verbleiben, das seine Immanenz also nur vortäuscht.
Jack-in-the-box ist eine Anordnung des Problems von Form und Substanz. Um den Wert oder Kern von Jack-in-the box zu erhalten, kann man Jack nicht einfach aus einem Rahmen reißen wie bei einem Gemälde. Und es gibt auch Gradienten der Zeit, die Dauer in der notwendigerweise unergründlichen black box, gegenüber der Fortsetzung und Ausdehnung des scheinbar zeitlosen white space. Auch wenn man die Erwartung hegt, dass irgendwo ein Jack heraus geschossen kommt, so wird seine Erscheinung einen dennoch immer beeindrucken und in Erstaunen versetzen – wahrscheinlich wegen der Regel des Suspense… und wegen der Zentrifugalkraft, die der Unsicherheit jeglicher Bezeichnung anhaftet…
Vielleicht wird man niemals wissen, ob Jack-in-the-box eine besondere Formation ist, eine künstliche Tatsache, deren Wirkung von einer bestimmten diskursiven Rahmung herrührt oder ob das ganze Gefüge, die in der Wicklung gezwungene Kraft, die er darstellt, transhistorisch ist. Jack-in-the-box ist ein zutiefst eigenartiges Wesen, vielleicht verwandt mit Odradek. Bisher konnte man nicht mit Gewissheit feststellen, ob es sich um eine Kreatur oder einen Schöpfer handelt, ob Jack-in-the-box eine Zirkularität ist, gleich einem Trinkvogel. So lässt sich auch nicht immer genau sagen, wie sein Wert entsteht und kursiert und worin sein Zweck besteht – herauskommen oder drinnen versteckt bleiben. Es ist unbekannt, welchen genauen Bedingungen seine Existenz unterliegt oder ob er unbedingt ist, wie man das von der Autonomie der Kunst sagt, der immer eine gewisse Unmöglichkeit innewohnt. – Nicht zuletzt mit ihrer Macht, kulturelle Unterschiede und soziale Hierarchien zu überschreiten – eine Kraft, die heute nur allzu oft mit einer Art ethischem Bonus ausgestattet wird, einem Überschuss, einem Übermass an Güte, Boshaftigkeit oder Zynismus inmitten aller gegenwärtigen Formen von bohrenden und fortdauernden gewaltsamen Kräften auf weltweiter Ebene… so dass es fast schon als Gnade gelten muss, dass anders als bei der Büchse der Pandora der Deckel von Jack-in-the-box nicht nur zweimal geöffnet wird. Jack-in-the-box hat etwas Bodenloses, Unerschöpfliches: Ob offen oder geschlossen, ob die Feder, an der ein wie auch immer gearteter Jack befestigt ist, stark unter Spannung steht oder in weicher Schwingung wippt, Jack-in-the-box ist immer schon aktiviert.
Referenzen: Homi K. Bhabha (für die Marabar Höhlen und seine Überlegungen zu A passage to India), Sigmund Freud, Franz Kafka (für Odradek in der Erzählung Die Sorge des Hausvaters), Nicholas Mirzoeff (für seinen Begriff des Rechts auf das Sehen / „the right to look“), HistorikerInnen des Amerikanischen Südens wie John Blassingame und Deborah Gray White (für die Beschreibung von Sklaven-Persönlichkeitstypen), Kwame Opoku (für die Recherche über den Verbleib des Leoparden und den Raub der Benin Bronzen)